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Idisa: eine thüringisch-fränkische Sage für unsere Jugend
Nahe am Zusammenflu der beiden Quellbche der Werra bei Schwarzenbrunn teilt sich die von Eisfeld kommende Strae in einen nrdlichen und einen stlichen Arm. Vor vielen hundert Jahren standen dort ein paar armselige Holzhtten, deren Bewohner in der nahen Goldwscherei ihren Lebensunterhalt verdienten. Es war zwar herzlich wenig, was dabei herauskam, aber die meisten lebten doch mit den Ihren recht glcklich und zufrieden. Die Bewohner in dem letzten Huschen da oben am wirren Wasser, wie sie es damals nannten, waren die rmsten. Die bittere Not des Lebens hatte an ihrer Wiege gestanden, und es schien, als wollte sie ihnen Begleiterin sein bis an das Ende ihrer Tage. Als nun gar um die liebe Weihnachtszeit beim Vater das alte Leiden sich wieder einstellte, soda er gichtbrchig darniederlag, da[4] war die Not recht gro. Von Verdienst war keine Rede, und wenn die Mutter die Kleinsten zu Bett brachte und im Vaterunser die Worte sprach: Unser tglich Brot gib uns heute, rollten ihr die dicken, heien Trnen ber die abgehrmten Wangen. Mutter und Kinder hatten den Hunger kennen gelernt. Elias, oder wie sie ihn im Dorfe nannten Elis, der grte Knabe, verstand wohl die Schmerzen und Sorgen, die am Mutterherzen nagten, und tat, was in seinen schwachen Krften stand, der Mutter hilfreich beizustehen. Bald gab es einen Botengang nach Steinheid, wo gegen tausend Arbeiter im Goldbergwerk beschftigt waren, bald sammelte er Holz und Reisig fr die Nachbarn, die ihm zum Lohn ein Geldstck oder ein Abendbrot verabreichten, bald trabte er als junger Klammermann durch den tiefen Schnee, um den Hausfrauen im nahen Stdtchen geschnitzte Holzwaren feil zu bieten. Alles, was er verdiente, brachte er treulich der Mutter, und so fristeten die Armen notdrftig ihr Leben. Aufs Frhjahr zu ging es mit dem Vater, Gott sei Dank, wieder etwas besser, und wenn ihm auch noch lange nicht mglich war, seiner Arbeit in der Goldwscherei nachzugehen, so konnte er doch wenigstens einige Stunden whrend des Tages am Fenster sitzen, oder, wenn die Sonne wrmer schien, vor dem Hause auf der Holzbank. Dann sah er vor sich den dunkeln, schweigsamen Wald,[5] der da lag wie seine nchste Zukunft, und ber sich den blauen, lachenden Himmel, seine Hoffnung. Die beiden Jngsten waren gern bei ihm und hrten gar andchtig zu, wenn er von seinen Wanderfahrten erzhlte, von den fremden Lndern und Leuten, die er gesehen und kennen gelernt hatte. Am meisten freute sich Elis der allmhlich wiederkehrenden Gesundheit des Vaters, und jeder konnte es ihm anmerken, der ihm auf seinen Wegen begegnete. Frohsinn und Lebensfrische glnzten ihm wieder aus den blanken, blauen Augen. Spiegelte sich doch in ihnen das reine Kindesherz, das sich ber jede Besserung im Befinden des Vaters innigst freute, wenn es auch genau wute, der nchste Winter bringt das nchste Leid. Doch wozu an den Winter, an Gram und Sorge denken, wenn der Frhling ber die Berge zieht, wenn der Wald zum Wandern lockt, wenn die ersten Blten zum Grue freundlich winken. Wie Heim- und Herzweh zieht es Elis zu seinen Bergen, zu seinem Wald. An einem schnen Sonntagmorgen sprang er hinaus in den kosenden, tosenden Mai. Wars doch, als sngen die Vgel alle nur fr ihn, und der Kuckuck wollte nicht stille werden, ihm seinen Willkomm zuzurufen. Der Knabe hatte von den guten Eltern Erlaubnis bekommen, einmal so recht nach Herzenslust ohne besonderen Auftrag und, wenn mglich, ohne Gram und Sorge hinauszustreifen zu den Schluchten und Bergen[6] des Waldes, der den Saargrund, die Elis lngst bekannte Strae nach Steinheid, begrenzte. Alle Lieblingspltze des Vaters, an denen sie beide so oft geweilt, wollte er besuchen und dann dem Vater erzhlen, ob der Winter im Forst viel Schaden getan, ob Hirsch und Reh, ob Eichhorn, Hher und Specht gut berwintert, wie viel Meiler der schwarze Martin angelegt, und ob er im Aprilschnee noch irgendwo den Bren gespurt habe, der im Winter im Saargrund gesehen worden war, und vieles andere. Vielleicht konnte er auch einmal die hchste Spitze des groen Berges besuchen, den sie den Ble nannten, an dessen nrdlichem Fu das wirre Wasser dahin rauschte und dessen Echo ihm so oft freundlich geantwortet, wenn er singend und pfeifend von Steinheid heimwrts kam. Der Weg ging steilan. Unter dem taufrischen Geste wetterstarker Baumriesen, deren Gipfel noch kein Strahl der Morgensonne berhrte, stieg er hinauf. Es war frh am Tage, und ehe die Kirchenglocken den Tag des Herrn einluteten, hielten die Vglein in den Zweigen ihre Sonntagsandacht. Wo Elis oft querbergein jubelnd und jauchzend wie es in Gesellschaft munterer Kameraden nicht anders sein kann herunter gesprungen war, da ging er jetzt ernst und einsam frba. Es kam ihm pltzlich alles so ganz anders vor, so feierlich, als schritt der liebe Gott selbst neben ihm vorber durch den lenzjungen Wald. Dazu war[7] ihm die Gegend auf der Hhe des Berges, die er soeben erreicht hatte, fremd. Bis dahin war er noch nicht gekommen. Ob wohl auch jenseits der Hhe Menschen wohnen? Ob dort an der Sdseite des Hanges die Bume voller und frischer grnen, als im Saargrund, wo das Laub nur aus den Knospen lugte? Ob schon die Maienblumen im Jungholz in Blte stehen? Ob jene Lichtung dort wohl einen Blick gewhrt zum sonnigen Frankenland, zur trutzigen Bergfeste Coburg oder gar bis zum Hgelgelnde des Maines? Alles, alles entsprach den Gedanken und stillen Wnschen unseres Elis. Herr, wie sind deine Werke so gro und viel. Deine Gte reicht, so weit der Himmel ist. Diese Worte, die ihm die Mutter so oft vorgesprochen hatte, hier empfand er sie in Wahrheit und Innigkeit. In heilig ernster Stimmung schritt er am jenseitigen Abhang hinab zum Tale, wo ein stilles, lauschiges Pltzchen ihm winkte und ihn einlud zu kurzer Rast. Unter glattstmmigen Buchen war vom Aprilsturm raschelndes Laub zu Haufen gejagt und da Elis die Morgenwanderung doch etwas ermdet hatte, lie er sich auf das weiche Kissen nieder, das ihm der liebe Gott hierhergelegt. Vor ihm aus niederem Felsgestein sprudelte eine muntere Quelle und lieblich flsternd, neckisch spielend schlpften die Wellen durch Laub und Moos. Droben am blauen Himmelszelt zog ein einsames Wlkchen leicht und luftig wie ein[8] Himmelsschfchen dahin, heimwrts zu seinen Geschwistern. Zu seinen Geschwistern! Auch Elis war bei seinen Geschwistern, bei Vater und bei Mutter. Der Traumgott hatte ihn umfangen. Glckselig lchelnd lag er da. Das Bchlein hrte er rauschen, die Quelle sah er sprudeln. Doch zu beiden Seiten derselben erblickte er jetzt einen wundervollen Garten, so schn, wie er kaum das Paradies sich gedacht hatte. Nixenkinder mit niedlichen Lockenkpfchen und hellstrahlenden Blaugucken kamen aus dem Bchlein herausgestiegen und gingen im Garten spazieren. Die Blumen des Zaubergartens fingen an zu luten, die Glockenblumen bim baum, die Maienglckchen kling kling. Die Vgel kamen alle und musizierten, die Immen und die Kfer fielen summend ein, die Schmetterlinge schwenkten bunte Fahnen, gelbe, rote und blaue. Jetzt reichten sich die Nixenkinder die Hnde und tanzten einen Ringel-Reihen vor der Quelle, aus der die Tropfen hpften wie Diamanten und Perlen. Die sprangen den Tnzerinnen ins schimmernde Goldhaar und hingen und funkelten da wie Himmelssterne. Die kleinsten der Nixen tanzten nicht, die saen am Ufer, pflckten Vergimeinnicht und Goldstern und flochten sich Krnzlein in die blonden Locken. Alle waren lustig und sangen zum Ringel-Reihen: ......Buy Now (To Read More)
Ebook Number: 66797
Author: Langbein, Heinrich
Release Date: Nov 23, 2021
Format: eBook
Language: German
Illustrator: Scheibe, Wilhelm
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