Hermann und Dorothea

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Hermann und Dorothea Hab ich den Markt und die Straen doch nie so einsam gesehen! Ist doch...
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Author: Goethe, Johann Wolfgang von,1749-1832
Format: eBook
Language: German
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Author: Goethe, Johann Wolfgang von,1749-1832
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Hermann und Dorothea

Hab ich den Markt und die Straen doch nie so einsam gesehen! Ist doch die Stadt wie gekehrt! wie ausgestorben! Nicht funfzig, Deucht mir, blieben zurck von allen unsern Bewohnern. Was die Neugier nicht tut! So rennt und luft nun ein jeder, Um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen. Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer ein Stndchen, Und da luft man hinab, im heien Staube des Mittags. Mcht' ich mich doch nicht rhren vom Platz, um zu sehen das Elend Guter fliehender Menschen, die nun, mit geretteter Habe, Leider, das berrheinische Land, das schne, verlassend, Zu uns herberkommen und durch den glcklichen Winkel Dieses fruchtbaren Tals und seiner Krmmungen wandern. Trefflich hast du gehandelt, o Frau, da du milde den Sohn fort Schicktest, mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken, Um es den Armen zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen. Was der Junge doch fhrt! und wie er bndigt die Hengste! Sehr gut nimmt das Ktschchen sich aus, das neue; bequemlich Sen viere darin, und auf dem Bocke der Kutscher. Diesmal fuhr er allein; wie rollt es leicht um die Ecke! So sprach, unter dem Tore des Hauses sitzend am Markte, Wohlbehaglich, zur Frau der Wirt zum Goldenen Lwen. Und es versetzte darauf die kluge verstndige Hausfrau: Vater, nicht gerne verschenk ich die abgetragene Leinwand, Denn sie ist zu manchem Gebrauch und fr Geld nicht zu haben, Wenn man ihrer bedarf. Doch heute gab ich so gerne Manches bessere Stck an berzgen und Hemden, Denn ich hrte von Kindern und Alten, die nackend dahergehn. Wirst du mir aber verzeihn? denn auch dein Schrank ist geplndert. Und besonders den Schlafrock mit indianischen Blumen, Von dem feinsten Kattun, mit feinem Flanelle gefttert, Gab ich hin; er ist dnn und alt und ganz aus der Mode. Aber es lchelte drauf der treffliche Hauswirt und sagte: Ungern vermi ich ihn doch, den alten kattunenen Schlafrock, Echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder. Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll Immer gehn im Surtout und in der Pekesche sich zeigen, Immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mtze. Siehe! versetzte die Frau, dort kommen schon einige wieder, Die den Zug mit gesehn; er mu doch wohl schon vorbei sein. Seht, wie allen die Schuhe so staubig sind! wie die Gesichter Glhen! und jeglicher fhrt das Schnupftuch und wischt sich den Schwei ab. Mcht' ich doch auch in der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht Laufen und leiden! Frwahr, ich habe genug am Erzhlten. Und es sagte darauf der gute Vater mit Nachdruck: Solch ein Wetter ist selten zu solcher Ernte gekommen, Und wir bringen die Frucht herein, wie das Heu schon herein ist, Trocken; der Himmel ist hell, es ist kein Wlkchen zu sehen, Und von Morgen wehet der Wind mit lieblicher Khlung. Das ist bestndiges Wetter! und berreif ist das Korn schon; Morgen fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte. Als er so sprach, vermehrten sich immer die Scharen der Mnner Und der Weiber, die ber den Markt sich nach Hause begaben; Und so kam auch zurck mit seinen Tchtern gefahren Rasch, an die andere Seite des Markts, der begterte Nachbar, An sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ortes, Im geffneten Wagen (er war in Landau verfertigt). Lebhaft wurden die Gassen; denn wohl war bevlkert das Stdtchen, Mancher Fabriken befli man sich da, und manches Gewerbes. Und so sa das trauliche Paar, sich unter dem Torweg ber das wandernde Volk mit mancher Bemerkung ergtzend. Endlich aber begann die wrdige Hausfrau und sagte: Seht! dort kommt der Prediger her, es kommt auch der Nachbar Apotheker mit ihm: die sollen uns alles erzhlen, Was sie drauen gesehn und was zu schauen nicht froh macht. Freundlich kamen heran die beiden und grten das Ehpaar, Setzten sich auf die Bnke, die hlzernen, unter dem Torweg, Staub von den Fen schttelnd, und Luft mit dem Tuche sich fchelnd. Da begann denn zuerst, nach wechselseitigen Gren, Der Apotheker zu sprechen und sagte, beinahe verdrielich: So sind die Menschen frwahr! und einer ist doch wie der andre, Da er zu gaffen sich freut, wenn den Nchsten ein Unglck befllet! Luft doch jeder, die Flamme zu sehn, die verderblich emporschlgt, Jeder den armen Verbrecher, der peinlich zum Tode gefhrt wird. Jeder spaziert nun hinaus, zu schauen der guten Vertriebnen Elend, und niemand bedenkt, da ihn das hnliche Schicksal Auch, vielleicht zunchst, betreffen kann, oder doch knftig. Unverzeihlich find ich den Leichtsinn; doch liegt er im Menschen. Und es sagte darauf der edle verstndige Pfarrherr, Er, die Zierde der Stadt, ein Jngling nher dem Manne. Dieser kannte das Leben und kannte der Hrer Bedrfnis, War vom hohen Werte der heiligen Schriften durchdrungen, Die uns der Menschen Geschick enthllen und ihre Gesinnung; Und so kannt' er auch wohl die besten weltlichen Schriften. Dieser sprach: Ich tadle nicht gern, was immer dem Menschen Fr unschdliche Triebe die gute Mutter Natur gab; Denn was Verstand und Vernunft nicht immer vermgen, vermag oft Solch ein glcklicher Hang, der unwiderstehlich uns leitet. Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen, Sagt! erfhr' er wohl je, wie schn sich die weltlichen Dinge Gegeneinander verhalten? Denn erst verlangt er das Neue, Suchet das Ntzliche dann mit unermdetem Fleie; Endlich begehrt er das Gute, das ihn erhebet und wert macht. In der Jugend ist ihm ein froher Gefhrte der Leichtsinn, Der die Gefahr ihm verbirgt und heilsam geschwinde die Spuren Tilget des schmerzlichen bels, sobald es nur irgend vorbeizog. Freilich ist er zu preisen, der Mann, dem in reiferen Jahren Sich der gesetzte Verstand aus solchem Frohsinn entwickelt, Der im Glck wie im Unglck sich eifrig und ttig bestrebet; Denn das Gute bringt er hervor und ersetzet den Schaden. Freundlich begann sogleich die ungeduldige Hausfrau: Saget uns, was ihr gesehn; denn das begehrt' ich zu wissen. Schwerlich", versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck, Werd ich so bald mich freun nach dem, was ich alles erfahren. Und wer erzhlet es wohl, das mannigfaltigste Elend! Schon von ferne sahn wir den Staub, noch eh' wir die Wiesen Abwrts kamen; der Zug war schon von Hgel zu Hgel Unabsehlich dahin, man konnte wenig erkennen. Als wir nun aber den Weg, der quer durchs Tal geht, erreichten, War Gedrng und Getmmel noch gro der Wandrer und Wagen. Leider sahen wir noch genug der Armen vorbeiziehn, Konnten einzeln erfahren, wie bitter die schmerzliche Flucht sei, Und wie froh das Gefhl des eilig geretteten Lebens. Traurig war es zu sehn, die mannigfaltige Habe, Die ein Haus nur verbirgt, das wohlversehne, und die ein Guter Wirt umher an die rechten Stellen gesetzt hat, Immer bereit zum Gebrauche, denn alles ist ntig und ntzlich, Nun zu sehen das alles, auf mancherlei Wagen und Karren Durcheinander geladen, mit bereilung geflchtet. ber dem Schranke lieget das Sieb und die wollene Decke, In dem Backtrog das Bett und das Leintuch ber dem Spiegel. Ach! und es nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig Jahren auch wohl gesehn, dem Menschen alle Besinnung, Da er das Unbedeutende fat und das Teure zurcklt. Also fhrten auch hier, mit unbesonnener Sorgfalt, Schlechte Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend: Alte Bretter und Fsser, den Gnsestall und den Kfig. Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bndeln sich schleppend, Unter Krben und Butten voll Sachen keines Gebrauches; Denn es verlt der Mensch so ungern das Letzte der Habe. Und so zog auf dem staubigen Weg der drngende Zug fort, Ordnungslos und verwirrt. Mit schwcheren Tieren der eine Wnschte langsam zu fahren, ein andrer emsig zu eilen. Da entstand ein Geschrei der gequetschten Weiber und Kinder, Und ein Blken des Viehes, dazwischen der Hunde Gebelfer, Und ein Wehlaut der Alten und Kranken, die hoch auf dem schweren bergepackten Wagen auf Betten saen und schwankten. Aber, aus dem Gleise gedrngt, nach dem Rande des Hochwegs Irrte das knarrende Rad; es strzt' in den Graben das Fuhrwerk, Umgeschlagen, und weithin entstrzten im Schwunge die Menschen, Mit entsetzlichem Schrein, in das Feld hin, aber doch glcklich. Spter strzten die Kasten und fielen nher dem Wagen. Wahrlich, wer im Fallen sie sah, der erwartete nun sie Unter der Last der Kisten und Schrnke zerschmettert zu schauen. Und so lag zerbrochen der Wagen und hlflos die Menschen; Denn die brigen gingen und zogen eilig vorber, Nur sich selber bedenkend und hingerissen vom Strome. Und wir eilten hinzu und fanden die Kranken und Alten, Die zu Haus und im Bett schon kaum ihr dauerndes Leiden Trgen, hier auf dem Boden beschdigt chzen und jammern, Von der Sonne verbrannt und erstickt vom wogenden Staube. Und es sagte darauf gerhrt der menschliche Hauswirt: Mge doch Hermann sie treffen und sie erquicken und kleiden. Ungern wrd' ich sie sehn; mich schmerzt der Anblick des Jammers. Schon von dem ersten Bericht so groer Leiden gerhret, Schickten wir eilend ein Scherflein von unserm berflu, da nur Einige wrden gestrkt, und schienen uns selber beruhigt. Aber lat uns nicht mehr die traurigen Bilder erneuern; Denn es beschleichet die Furcht gar bald die Herzen der Menschen, Und die Sorge, die mehr als selbst mir das bel verhat ist. Tretet herein in den hinteren Raum, das khlere Slchen. Nie scheint Sonne dahin, nie dringet wrmere Luft dort Durch die strkeren Mauern; und Mtterchen bringt uns ein Glschen Dreiundachtziger her, damit wir die Grillen vertreiben. Hier ist nicht freundlich zu trinken; die Fliegen umsummen die Glser. Und sie gingen dahin und freuten sich alle der Khlung. Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines, In geschliffener Flasche auf blankem zinnernem Runde, Mit den grnlichen Rmern, den echten Bechern des Rheinweins. Und so sitzend umgaben die drei den glnzend gebohnten Runden, braunen Tisch, er stand auf mchtigen Fen. Heiter klangen sogleich die Glser des Wirtes und Pfarrers; Doch unbeweglich hielt der dritte denkend das seine, Und es fordert' ihn auf der Wirt mit freundlichen Worten: Frisch, Herr Nachbar, getrunken! denn noch bewahrte vor Unglck Gott uns gndig und wird auch knftig uns also bewahren. Denn wer erkennet es nicht, da seit dem schrecklichen Brande, Da er so hart uns gestraft, er uns nun bestndig erfreut hat Und bestndig beschtzt, so wie der Mensch sich des Auges Kstlichen Apfel bewahrt, der vor allen Gliedern ihm lieb ist. Sollt' er fernerhin nicht uns schtzen und Hlfe bereiten? Denn man sieht es erst recht, wie viel er vermag, in Gefahren; Sollt' er die blhende Stadt, die er erst durch fleiige Brger Neu aus der Asche gebaut und dann sie reichlich gesegnet, Jetzo wieder zerstren und alle Bemhung vernichten? Heiter sagte darauf der treffliche Pfarrer und milde: Haltet am Glauben fest und fest an dieser Gesinnung; Denn sie macht im Glcke verstndig und sicher, im Unglck Reicht sie den schnsten Trost und belebt die herrlichste Hoffnung. Da versetzte der Wirt mit mnnlichen, klugen Gedanken: Wie begrt' ich so oft mit Staunen die Fluten des Rheinstroms, Wenn ich, reisend nach meinem Geschft, ihm wieder mich nahte! Immer schien er mir gro und erhob mir Sinn und Gemte; Aber ich konnte nicht denken, da bald sein liebliches Ufer Sollte werden ein Wall, um abzuwehren den Franken, Und sein verbreitetes Bett ein allverhindernder Graben. Seht, so schtzt die Natur, so schtzen die wackeren Deutschen Und so schtzt uns der Herr; wer wollte tricht verzagen? Mde schon sind die Streiter, und alles deutet auf Frieden. Mge doch auch, wenn das Fest, das lang erwnschte, gefeiert Wird, in unserer Kirche, die Glocke dann tnt zu der Orgel, Und die Trompete schmettert, das hohe Te Deum begleitend Mge mein Hermann doch auch an diesem Tage, Herr Pfarrer, Mit der Braut, entschlossen, vor Euch am Altare sich stellen, Und das glckliche Fest, in allen den Landen begangen, Auch mir knftig erscheinen, der huslichen Freuden ein Jahrstag! Aber ungern seh ich den Jngling, der immer so ttig Mir in dem Hause sich regt, nach auen langsam und schchtern. Wenig findet er Lust, sich unter Leuten zu zeigen; Ja, er vermeidet sogar der jungen Mdchen Gesellschaft Und den frhlichen Tanz, den alle Jugend begehret. Also sprach er und horchte. Man hrte der stampfenden Pferde Fernes Getse sich nahn, man hrte den rollenden Wagen, Der mit gewaltiger Eile nun donnert' unter den Torweg. ......Buy Now (To Read More)

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Ebook Number: 2312
Author: Goethe, Johann Wolfgang von
Release Date: Sep 1, 2000
Format: eBook
Language: German

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