Erste Gedichte

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Erste Gedichte LARENOPFER IM ALTEN HAUSE Im alten Hause; vor mir frei seh ich ganz Prag in...
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Author: Rilke, Rainer Maria,1875-1926
Format: eBook
Language: German
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Author: Rilke, Rainer Maria,1875-1926
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LARENOPFER IM ALTEN HAUSE Im alten Hause; vor mir frei seh ich ganz Prag in weiter Runde; tief unten geht die Dmmerstunde mit lautlos leisem Schritt vorbei. Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas. Nur hoch, wie ein behelmter Hne, ragt klar vor mir die grnspangrne Turmkuppel von Sankt Nikolas. Schon blinzelt da und dort ein Licht fern auf im schwlen Stadtgebrause. Mir ist, da in dem alten Hause jetzt eine Stimme "Amen" spricht. AUF DER KLEINSEITE Alte Huser, steilgegiebelt, hohe Trme voll Gebimmel, in die engen Hfe liebelt nur ein winzig Stckchen Himmel. Und auf jedem Treppenpflocke mde lchelndAmoretten; hoch am Dache um barocke Vasen rieseln Rosenketten. Spinnverwoben ist die Pforte dort. Verstohlen liest die Sonne die geheimnisvollen Worte unter einer Steinmadonne. EIN ADELSHAUS Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe: wie schn will mir sein grau er Glast erscheinen. Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen und dort, am Eck, die trbe, fette Lampe. Auf einer Fensterbrstung nickt ein Tauber, als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken; und Schwalben wohnen in des Torgangs Luken: das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ichZauber. DER HRADSCHIN Schau so gerne die verwetterte Stirn der alten Hofburg an; schon der Blick des Kindes kletterte dort hinan. Und es gren selbst die eiligen Moldauwellen den Hradschin, von der Brcke sehn die Heiligen ernst auf ihn. Und die Trme schaun, die neueren, alle zu des Veitsturms Knauf wie die Kinderschar zum teueren Vater auf. BEI ST. VEIT Gern steh ich vor dem alten Dom; wie Moder weht es dort, wie Fule, und jedes Fenster, jede Sule spricht noch ihr eignes Idiom. Da hockt ein reich geschnrkelt Haus und lchelt Rokoko-Erotik, und hart daneben streckt die Gotik die drren Hnde betend aus. Jetzt wird mir klar der casus rei; ein Gleichnis ists aus alten Zeiten: der Herr Abb hierihm zuseiten die Dame des roi soleil. IM DOME Wie von Steinen rings, von Erzen weit der Wnde Wlbung funkelt, eine Heilge, braungedunkelt, dmmert hinter trben Kerzen. Von der Decke, rundgemauert, schwebt ob eines Engels Kopfe hell ein weier Silbertropfe, drin ein ewig Lichtlein kauert. Und im Eck, wo Goldgeglaste niederhangt in staubgen Klumpen, steht in Schmutz gehllt und Lumpen still ein Kind der Bettlerkaste. Von dem ganzen Glnze flo ihm in die Brust kein Fnkchen Segen.... Zitternd, matt, streckts mir entgegen seine Hand mit leisem: "Prosim!" IN DER KAPELLE ST. WENZELS Alle Wnde in der Halle voll des Prachtgesteins; wer wte sie zu nennen: Bergkristalle, Rauchtopase, Amethyste. Zauberhell wie ein Mirakel glnzt der Raum im Lichtgetnzel, unterm goldnen Tabernakel ruht der Staub des heilgen Wenzel. Ganz von Leuchten bis zum Scheitel ist die Kuppel voll, die hohle; und der Goldglast sieht sich eitel in die gelben Karneole. VOM LUGAUS Dort, seh ich Trme, kuppig bald wie Eicheln und jene wieder spitz wie schlanke Birnen; dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln. Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten sieh St. Mariens Doppeltrme blitzen. Ists nicht: Sie saugte durch zwei Fhlerspitzen in sich des Himmels violette Tinten! DER BAU (1) Die moderne Bauschablone will mir wahrlich gar nicht passen. Hier, dies alte Haus darf fassen reiche, weite Steinterrassen, kleine, heimliche Balkone. Und die weitgewlbten Decken, die so gnstig sind den Lauten, Nischen rings, die eingebauten, draus die Arme sich der trauten Dmmrung dir entgegenstrecken. Alle Mauern breiter, strker und aus echten Quaderkernen; traun, das Gruseln knnt ich lernen, seh ich auf die Zinskasernen aus dem kleinen, Stillen Erker. IM STBCHEN (2) Traut ists, wenn verstohlen heulen im Kamine wilde Winde in der Stube; ganz gelinde tickt auf dem barocken Spinde fort die Stockuhr mit den Sulen. Dort, die kleine Silhouette zeigt die alte Tracht der Locken, tief im Fenster steht ein Rocken, und vergene Tne stocken im verlassenen Spinette. Immer noch hegt die Postille, da an ihrem Geist erfrische jung und alt sich, auf dem Tische, und der Spruch ob jener Nische lautet: "Es gescheh Dein Wille...." ZAUBER (3) Oft seh ich die heimliche Stube belebt, so lebhaft erzhlen die Wnde; ein liebliches Mdchen, halb Kind noch, hebt dort zu der Madonna die Hnde. Ein tchtiger Junge beim Vater steht, der viel zu des Hauses Gewinn tat. An huben sie flsternd das Abendgebet, und Mutter lt ruhen das Spinnrad. Da deucht mich, es wird wohl das Auge na sogar der Madonna im Rahmen. Ich lausche:Laut von des Vaters Ba ertnt das vershnende: "Amen". EIN ANDERES (4) Naht der Sohn mit schwerem Schritt seinem Vater. Schwer die Zunge.... "Wirklich, was, ein Brutchen, junge?! Vorwrts, nur herein damit!" Und da steht zum erstenmal jetzt das Mdchen rot und stille; und der Vater putzt die Brille: "Teufel! Gut war deine Wahl!" Und er streckt die Arme aus, und das Brutchen nimmt verlegen seinen Ku und seinen Segen.... Davon wei das alte Haus. NOCH EINES (5) Auch dem blonden Kinde kam es In sein Herz, sein waldseereines, wie das dunkle Ahnen eines groen Glckes oder Grames. Und die Mutter lie das Rdchen stocken."Kind, was macht dich leiden?" Strmisch schluchzend schwieg das Mdchen: doch verstanden sich die beiden. Kurz darauf: Am Pfrtchen pochte junger Herr."Wollt ihr euch?"Pause. Ob!Wer da noch fragen mochte!? So geschahs im alten Hause. UND DAS LETZTE (6) Still heut die Stube.Wei wie Kalk ist Frauchens Antlitz. Md und lustlos ihr feuchtes Auge; halb bewutlos lehnt sie bei Vaters Katafalk. Zuseiten ihr der Gatte kann sie trsten mehr in keiner Weise; nun fat er ihre Hnde leise und sieht sie ernst und bittend an. "Mein Mtterchen, nimm diesen Strau!" tnt trher hell das Wort des Kleinen; da glimmt ein Lcheln durch ihr Weinen, und Trost geht durch das alte Haus. IM ERKERSTBCHEN (7) Nicht zu sehn das Alltagstreiben, flieh ichwie wenn ich ein Strau war, in das alte, alte Haus her; lang dann seh ich nicht hinaus mehr durch die breit verbleiten Scheiben. Schlichtheit war der Vter Aussaat, Glck die Frucht, die sie gefunden; sitz so trumend manche Stunden dort im Polsterstuhl, im runden, mitten in Urvterhausrat. DER NVEMBERTAG Alter Herbst vermag den Tag zu knebeln, seine tausend Jubelstimmen schweigen; hoch vom Domturm wimmern gar so eigen Sterbeglocken in Novembernebeln. Auf den nassen Dchern liegt verschlafen weies Dunstlicht; und mit kalten Hnden greift der Sturm in des Kamines Wnden eines Totenkarmens Schluoktaven. IM STRAEN KAPELLCHEN Bei St. Loretto da brennt ein Licht vorm Bilde im Straenkapellchen; und um das Wandbild schmiegen sich dicht Blechblumen mit farbigen Kelchen. Die Heiligen machen ein bel Gesicht; denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat nicht Achtung fr sie; bei Loretto das Licht schaut fromm in den dmmernden Sabbat. DAS KLOSTER Im Dmmerdustgeschwel ist schon die Stadt zerronnen hoch steht das Haus der Nonnen des Ordens von Carmel. Der Abend hpft hangab vorbei mit Feuergarben und windet tausend Farben um jeden Fensterstab. Er schmckt das dstre Haus umsonst mit Lichtgeglnze; So sehen frische Krnze auf Leichensteinen aus. BEI DEN KAPUZINERN Es hat der Pater Guardian vom Klosterschnaps mir angeboten; ich kenn ihn schon, den dunkelroten, der alle Toten wecken kann. Der Pater sucht den Schlssel, klein, dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten, und holt den Schatz, den selbstgebrauten, hervor aus dem Reliquienschrein. Und wie er einschenkt, lacht er feist und spricht: "Zu Staub sind die Gebeine, die einstens ruhten in dem Schreine, doch uns erhalten bliebder Geist!" ABEND Einsam hinterm letzten Haus geht die rote Sonne schlafen, und in ernste Schluoktaven klingt des Tages Jubel aus. Lose Lichter haschen spt noch sich auf den Dcherkanten, wenn die Nacht schon Diamanten in die blauen Fernen st. JAR. VRCHLICK Ich lehn im Armstuhl, im bequemen, wo oft ich Ungemach verga, md nicken krause Chrysanthemen im hohen Venezianergls. Ich las in einem Band Gedichte gar lange; wie die Zeit entschwand! Jetzt erst im Abenddmmerlicbte leg ich sie selig aus der Hand. Mir ist, von gttlichen Problemen htt ich die Lsung jetzt erlauscht, hat mich der Hauch der Chrysanthemen, hat mich Vrchlicks Buch berauscht? IM KREUZGANG VON LORETTO Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten, wo ber krausen Sulenarabesken herniederschaun aus halb verwischten Fresken geheimnisvolle Heiligengestalten. Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht so manchen gnadenvollen Heilmirakels, prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels im silberbersten Seidenkleid. Spannt ber Blttergold Sptsommerhaar sich drauen auch im Klosterhof Lorettos, vor einem Bild im Stile Tintorettos steht selig still ein junges Liebespaar. DER JUNGE BILDNER Ich mu nach Rom; in unser Stdtchen kehr ich aufs Jahr mit Ruhm zurck; nicht weinen; sieh, geliebtes Mdchen, ich mach in Rom mein Meisterstck. Er sprachs; dann zog er fort im Rausche durch jene Welt, die er erhofft; doch war ihm, seine Seele lausche auf einen innern Vorwurf oft. Die Unrast trieb ihn heim, die arge: Er bildete mit nassem Blick sein armes, fahles Lieb im Sarge, und dasdas war sein Meisterstck. FRHLING Die Vgel jubelnlichtgeweckt, die blauen Weiten fllt der Schall aus; im Kaiserpark das alte Ballhaus ist ganz mit Blten berdeckt. Die Sonne schreibt sich hoffnungsvoll ins junge Gras mit groen Lettern. Nur dorten unter welken Blttern seufzt traurig noch ein Steinapoll. Da naht ein Lftchen, fegt im Tanz hinweg das gelbe Blattgeranke und legt um seine Stirn, die blanke, den blauenden Syringenkranz. LAND UND VOLK ...Gott war guter Laune. Geizen ist doch wohl nicht seine Art; und er lchelte: da ward Bhmen, reich an tausend Reizen. Wie erstarrtes Licht liegt Weizen zwischen Bergen, waldbehaart, und der Baum, den dichtgeschaart Frchte drcken, fordert Spreizen. Gott gab Htten; voll von Schafen Stlle; und der Dirne klafft vor Gesundheit fast das Mieder. Gab den Burschen all, den braven, in die raube Faust die Kraft, in das Herzdie Heimatlieder. DER ENGEL Hin geh ich durch die Malvasinka die Kinderreih, wo sanft und gut die kleine Anka oder Ninka in ihrem letzten Bettchen ruht. Auf einem schmalen Schollenhgel kniet, ganz versteckt in hohem Mohn, mit staubigem, gebrochnem Flgel ein Engelchen aus rohem Ton. Das flgellahme Kindchen flte mir Mitleid ein,das arme Ding.... Da, sieh! Von seinen Lippen lste sich leicht ein kleiner Schmetterling. ALLERSEELEN I Rings liegt der Tag von Allerseelen voll Wehmut und voll Bltenduft, und hundert bunte Lichter schwelen vom Feld des Friedens in die Luft. Sie senden Palmen heut und Rosen; der Grtner ordnet sie mit Sinn und kehrt zum Eck der Glaubenslosen die alten, welken Blumen hin. II "Jetzt beten, Willi,und nicht reden!" Mit groem Aug gehorcht der Knab. Der Vater legt den Kranz Reseden auf seines armen Weibes Grab. "Die Mutter schlft hier! Mach ein Kreuz nun!" Klein Willi sieht empor und macht, wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun, da er am Weg heraus gelacht! Es sticht im Auge ihnwie Weinen.... Dann gehn sie heimwrts durch die Nacht; ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen beim Ausgang jh der Buden Pracht. Es blinkt durch den Novembernebel herber lichtbeglnzter Tand; er sieht dort Pferdchen, Heime, Sbel und kt dem Vater leis die Hand. Und der versteht. Dann gehn sie weiter.... Der Vater sieht so traurig aus. Doch einen Pfeiferkuchenreiter schleppt Willi selig sich nach Haus. BEI NACHT Weit ber Prag ist riesengro der Kelch der Nacht schon aufgegangen; der Sonnenfalter barg sein Prangen in ihrem khlen Bltenscho. Hoch grinst der Mond, der schlaue Gnom, und neckend streut er das Gestrhne der weien Silberhobelspne hernieder in den Moldaustrom. Da pltzlich, wie beleidigt, hat zurckgerufen er die Strahlen, weil er gewahr ward des Rivalen: der Turmuhr helles Stundenblatt. ABEND Der Abend naht.Die klare Zone der Stirne schmckt ein goldner Reifen, und tausend Schattenhnde greifen verstohlen nach der roten Krone. Die ersten, blassen Sterne liebeln ihm zu; er steht hoch am Hradschine und schaut mit ernster Trumermiene die Trme und die grauen Giebeln. AUF DEM WOLSCHAN Am Abend des Tages von Allerseelen I Die drren ste bergittern des Himmels abendblasse Scheiben; und ber Grfte, reich mit Fttern geschmckt, geht Wehmut, und es zittern die Lichter durch das Blttertreiben. Im mden Blau, im regungslosen, schwimmt fern der Mond. Die Lebensbume, die seine blanke Stirne kosen, sind schwarz. Der Duft von welken Rosen schleicht her wie Geister toter Trume. II Ferner Lrm vom Wagendamm. Hier keimt Friede und Vergessen, zwischen zweien Grabzypressen hangt der Mond wie ein Tam-Tam. Schlgt die Ewigkeit nicht sacht jetzt daran mit schwarzem Schwengel? Bange schaut ein Marmorengel in das Aug der Sptherbstnacht. WINTERMORGEN Der Wasserfall ist eingefroren, die Dohlen hocken hart am Teich. Mein schnes Lieb hat rote Ohren und sinnt auf einen Schelmenstreich. Die Sonne kt uns. Traumverloren schwimmt im Gest ein Klang in Moll; und wir gehn frder, alle Poren vom Kraftarom des Morgens voll. BRUNNEN Ganz verschollen ist die alte, holde Brunnenpoesie, da aus Tritons Muschelspalte eine klare Quelle lallte, die den Gassen Sprache lieh. Abends bei den Rhrenkasten sammelte sich Paar um Paar, weil der Quelle lieblich Glasten und ihr Laut der tiefgefaten Neigung ses Omen war. Aber als durch Menschenmhn dann Wasser treppen aufwrts stieg, und kein Paar kam: Misogyn dann ward der Gott; es schlich sich Grnspan in die Muschel,und er schwieg. SPHINX Sie fanden sie, den Schdel halb zerschlagen, in starrer Hand das heie Rohr von Stahl. Die Menge gaffte.Bis der Rettungswagen sie brachte in das gelbe Stadtspital. Nur einmal hat das Aug sie aufgeschlagen.... Kein Brief!, kein Name, nur ein Kleid, ein Schal; dann kam der Arzt mit seinem leisen Fragen und dann der Priester.Sie blieb stumm und fahl. Doch spt bei Nacht, da wollt sie etwas sagen, gestehn ... Doch niemand hrte sie im Saal. Ein Rcheln.Dann ward sie herausgetragen, sie und ihr Schmerz. Und drauen steht kein Mal. TRUME Es kommt die Nacht, reich mit Geschmeiden geschmckt des blauen Kleides Saum; sie reicht mir mild mit ihren beiden Madonnenhnden einen Traum. Dann geht sie, ihre Pflicht zu ben, hinfort die Stadt mit leisem Schritt und nimmt, als Sold des Traumes, drben des kranken Kindes Seele mit. MAITAG Still!Ich hr, wie an Gelnden leicht der Wind vorberhpft, wie die Sonne Strahlenenden an Syringendolden knpft. Stille rings. Nur ein geblhter Frosch hlt eine Mckenjagd, und ein Kfer schwimmt im ther, ein lebendiger Smaragd. Im Gest spinnt Sberrhomben Mutter Spinne Zoll um Zoll, und von Bltenhekatomben hat die Welt die Hnde voll. KNIG ABEND Wie Knig Balthasar einst nahte, die Stirn vom Kronenreif erhellt, so tritt im purpurnen Ornate der Knig Abend in die Welt. Der erste Stern fhrt ihn wie jenen bis an den fernsten Hgelsaum; dort findet Mutter Nacht er lehnen mit ihrem Kind im Arm, dem Traum. Dem bringt er just, wie jener Weise des Orients, das Gold, gehuft, das Gold, das uns der Knabe leise erlsend in den Schlummer truft. AN DER ECKE Der Winter kommt und mit ihm meine Alte, die an der Ecke stets Kastanien briet. Ihr Antlitz schaut aus einer Tcherspalte froh und gesund, ob Falte auch bei Falte seit vielen Jahren es durchzieht. Und tchtig ist sie, ja, das will ich meinen; die Tten mssen rein sein, und das Licht an ihrem Stand mu immer helle scheinen, und von dem Ofen mit den krummen Beinen verlangt sie streng die heie Pflicht. So trefflich schmort auch keine die Maroni. Dabei bemerkt sie, wer des Weges zieht, und alle kennt siebis zum Tramwaypony; sie treibts ja Jahre schon, die alte Toni.... Und leise summt ihr Herd sein Lied. HEILIGE Groe Heilige und kleine feiert jegliche Gemeine; hlzern und von Steine feine, groe Heilige und kleine. Heilge Annen und Kathrinen, die im Traum erschienen ihnen, baun sie sich und dienen ihnen, heilgen Annen und Kathrinen. Wenzel la ich auch noch gelten, weil sie selten ihn bestellten; denn zu viele gelten selten nun, Sankt Wenzel la ich gelten. Aber diese Nepomuken! Von des Torgangs Luken gucken und auf allen Brucken spuken lauter, lauter Nepomuken! DAS ARME KIND Ich wei ein Mdchen, eingefallen die Wangen.War ein leichtes Tuch die Mtter; und des Vaters Fluch fiel in ihr erstes Lallen. Die Armut blieb ihr treu die Jahre, und Hunger ward ihr Angebind; so ward sie ernst.Das Lenzgold rinnt umsonst in ihre Haare. Sie schaut die lchelnden Gesichter der Blumen traurig an im Hag und denkt: der Allerseelentag hat Blten auch und Lichter. WENNS FRHLING WIRD Die ersten Keime sind, die zarten, im goldnen Schimmer aufgesprossen; schon sind die ersten der Karossen im Baumgarten. Die Wandervgel wieder scharten zusamm sich an der alten Stelle, und bald stimmt ein auch die Kapelle im Baumgarten. Der Lenzwind plauscht in neuen Arten die alten, wundersamen Mrchen, und drauen trumt das erste Prchen im Baumgarten. ALS ICH DIE UNIVERSITT BEZOG Ich seh zurck, wie Jahr um Jahr so mheschwer vorberrollte; nun endlich bin ich, was ich wollte und was ich strebte: ein Skolar. Erst "Recht" studieren war mein Plan; doch meine leichte Laune schreckten die strengen, staubigen Pandekten, und also ward der Plan zum Wahn. Theologie verbot mein Lieb, knnt mich auf Medizin nicht werfen, so da fr meine schwachen Nerven nichts alsPhilosophieren blieb. Die Alma mater reicht mir dar der freien Knste Prachtregister, und bring ichs nie auch zum Magister, bin was ich strebte: ein Skolar. SUPERAVIT Nie kann ganz die Spur verlaufen einer starken Tat; dies lehrt zu Konstanz der Scheiterhaufen; denn aus tausend Feuertaufen steigt der Hochgeist unversehrt. Bis zu uns her ungeheuer ragt der Reformator Hus, frchten wir der Lehre Feuer, neigen wir uns doch in scheuer Ehrfurcht vor dem Genius. Der, den das Gericht verdammte, war im Herzen, tief und rein, berzeugt von seinem Amte, und der hohe Holzsto flammte seines Ruhmes Strahlenschein. TROTZDEM Manchmal vom Regal der Wand hol ich meinen Schopenhauer, einen "Kerker voller Trauer" hat er dieses Sein genannt. So er recht hat, ich verlor nichts: in Kerkereinsamkeiten weck ich meiner Seele Saiten glcklich wie einst Dalibor. HERBSTSTIMMUNG Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer, an dessen Tre schon der Tod steht still; auf nassen Dchern liegt ein blasser Schimmer, wie der der Kerze, die verlschen will. Das Regenwasser rchelt in den Rinnen, der matte Wind hlt Bltterleichenschau; und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau. AN JULIUS ZEYER Du bist ein Meister;frher oder spter spannt sich dein Volk in deinen Siegeswagen; du preisest seine Art und seine Sagen, aus deinen Liedern weht der Heimat ther. Dein Volk tut recht,nicht, voll von wahngeblhter Vergangenheit, die Hand im Scho zu tragen, es kmpft noch heut und mu sich tchtig schlagen, stolz auf sich selbst und stolz auf seine Vter. Es hat dein Volk sich seine Ideale noch nicht versetzen lassen zu den Sternen, die unerreichbar sind und Sehnsucht glasten; du aber mahnst, ein echter Orientale, es mge in dem Ringen nicht verlernen auch im Alhambrahof die Kunst zu rasten. DER TRUMER I Es war ein Traum in meiner Seele tief. Ich horchte auf den holden Traum: ich schlief. Just ging ein Glck vorber, als ich schlief, und wie ich trumte, hrt ich nicht; es rief. II Trume scheinen mir wie Orchideen. So wie jene sind sie bunt und reich. Aus dem Riesenstamm der Lebenssfte ziehn sie just wie jene ihre Krfte, brsten sich mit dem ersaugten Blute, freuen in der flchtigen Minute, in der nchsten sind sie tot und bleich. Und wenn Welten oben leise gehen, fhlst dus dann nicht wie von Dften wehen? Trume scheinen mir wie Orchideen. DIE MUTTER Aufwrts die Theaterrampe rollen drhnend die Karossen, abseits unter trber Lampe steht ein altes Weib verdrossen. Nur wenn jh ein Hengst mal scheute, wars, da sie zusammenschrecke; niemand aus dem Strom der Leute sieht die Alte in der Ecke. An die neue "Gre" dachte, von ihr sprach man nur.Die Gte eines Grafen, hie es, brachte herrlich ihr Talent zur Blte. Spter. Jubelstrme hallten in den Schluklang der Trompeten.... Aber drauen kams der Alten, heimlich fr ihr Kind zu beten. UNSER ABENDGANG Gedenkst du noch, wie guter Dinge wir wallten durch das Nusler Tal; zwei kleine, blaue Schmetterlinge verflattertcn im Abendstrahl. Am Huschen lehnte die Melone dortwie auf einem Bilde Dows, und herrlich mit der Kuppelkrone hob sich das Haupt der Karlshofs. Im West war noch der Weizen golden, blaugrn verdmmerte der Kohl; die ersten weien Sternendolden umzitterten den Himmelspol. KAJETAN TL Bei Betrachtung seines Zimmerchens, das auf der bhmischen ethnographischen Ausstellung zusammengestelt war. Da also hat der arme Tl sein Lied "Kde domov mj"geschrieben. In Wahrheit; Wen die Musen lieben, dem gibt das Leben nicht zuviel. Ein Stbchennicht zu klein dem Flug des Geistes; nicht zu gro zur Ruhe. Ein Stuhl, als Schreibtisch eine Truhe, ein Bett, ein Holzkreuz und ein Krug. Doch wr er nicht fr tausend Louis von Bhmen fort. Mit jeder Fiber hing er daran."Ich bleibe lieber," htt er gesagt, "kde domov mj." VOLKSWEISE Mich rhrt so sehr bhmischen Volkes Weise, schleicht sie ins Herz sich leise, macht sie es schwer. Wenn ein Kind sacht singt beim Kartoffeljten, klingt dir sein Lied im spten Traum noch der Nacht. Magst du auch sein weit ber Land gefahren, fllt es dir doch nach Jahren stets wieder ein. DAS VOLKSLIED Nach einer Kartonskizze des Herrn Liebsdier Es legt dem Burschen auf die Stirne die Hand der Genius so lind, da mit des Liedes Silberzwirne er seiner Liebsten Herz umspinnt. Da mag der Bursch sich s erinnern, was aus der Mutter Mund ihm scholl, und mit dem Klang aus seinem Innern fllt er sich seine Fiedel voll. Die Liebe und der Heimat Schne drckt ihm den Bogen in die Hand, und leise rieseln seine Tne wie Bltenregen in das Land. Und groe Dichter, ruhmberauschte, dem schlichten Liede lauschen sie, so glubig wie das Volk einst lauschte dem Gottes wort des Sinai. DORFSONNTAG Im Wirtshaus auf den blanken Dielen schwingt sich die Jugend frisch und laut, des Burschen Hand, so hart von Schwielen, drckt die des blonden Mdchens traut; bierfrohe Musikanten spielen ein Lied aus der "verkauften Braut". "Trinkt zu! Ich will euch heut besolden." Der Pfarrherr. Der liebt muntern Geist. Und wie er nach dem Tanz die Holden zu seinem Tische kommen heit, da geht der Abend drauen, golden, und lacht durch alle Fenster dreist. MEIN GEBURTSHAUS Der Erinnrung ist das traute Heim der Kindheit nicht entflohn, wo ich Bilderbogen schaute im blauseidenen Salon. Wo ein Puppenkleid, mit Strhnen dicken Silbers reich betret, Glck mir war; wo heie Trnen mir das "Rechnen" ausgepret. Wo ich, einem dunklen Rufe folgend, nach Gedichten griff, und auf einer Fensterstufe Tramway spielte oder Schiff. Wo ein Mdchen stets mir winkte drben in dem Grfenhains.... Der Palast, der damals blinkte, sieht heut so verschlafen aus. Und das blonde Kind, das lachte, wenn der Knab ihm Ksse warf, ist nun fort; fern ruht es sachte, wo es nie mehr lcheln darf. IN DUBIIS I Es dringt kein Laut bis her zu mir von der Nationen wildem Streite, ich stehe ja auf keiner Seite; denn Recht ist weder dort noch hier. Und weil ich nie Horaz verga, bleib gut ich aller Welt und halte mich unverbrchlich an die alte aurea mediocritas. II Der erscheint mir als der Grte, der zu keiner Fahne schwrt, und, weil er vom Teil sich lste, nun der ganzen Weit gehrt. Ist sein Heim die Weit; es mit ihm doch nicht klein der Heimat Hort; denn das Vaterland, es ist ihm dann sein Haus im Heimatsort. BARBAREN Ich wei von einem Riesenparke dort, wo die Stadt sich schon verliert; jetzt nagt die Axt an seinem Marke, sie sagen: er wird parzelliert. Das ist der Frstenpark Clam-Gallas, der Mietskasernen weichen soll, der war doch wie ein Hain der Pallas der raunenden Orakel voll. Jetzt strmen sie, die Uhgeweihten, den Ort, den kein Profaner sah: Es bertnt der Lrm der Zeiten das Gtterwort der Pythia. SOMMERABEND Die groe Sonne ist versprht, der Sommerabend liegt im Fieber, und seine heie Wange glht. Jach seufzt er auf: "Ich mchte lieber...." Und wieder dann: "Ich bin so md...." Die Bsche beten Litanein, Glhwrmchen hangt, das regungslose, dort wie ein ewiges Licht hinein; und eine kleine weie Rose tragt einen roten Heiligenschein. GERICHTET "Am Ring" stand einst ein Blutgerst, lang ist es her; doch wenn der Schein des runden Monds das Rathaus kt, dann wallen aus dem heilgen Teyn Gerichtete in Geisterreihn ... Weh wer sie sah! Viel Herren fielen auf dem Ring; die Herren finden Ruhe nicht; sie zogen eines Nachts: Es ging voran Herr Christus, gro und licht, mit ernstem, traurigem Gesicht ... Und einer sahs! Der war ein Maler. Und im Flug malt er, wie er geschaut, den Ring. Er malt den ganzen Geisterzug, dem ernst voran Herr Christus ging. Er malt ... bis ihn ein Fieber fing ... Jetzt ist er tot. DAS MRCHEN VON DER WOLKE Der Tag ging aus mit mildem Tone, so wie ein Hammerschlag verklang. Wie eine gelbe Goldmelone lag gro der Mond im Kraut am Hang. Ein Wlkchen wollte davon naschen, und es gelang ihm, ein paar Zoll des hellen Rundes zu erhaschen, rasch kaut es sich die Bckchen voll. Es hielt sich lange auf der Flucht auf und zog sich ganz mit Lichte an; da hob die Nacht die goldne Frucht auf: Schwarz ward die Wolke und zerrann. FREIHEITSKLNGE Bhmens Volk! In deinen Kreisen weckt ein neuer Genius alte, heie Freiheitsweisen, und die mahnen nicht mit leisen Worten, da dein Fesseleisen ganz zerschmettert werden mu. Diese Streitpoeten blasen lockend; und in Stcke haun kannst du, Volk, in deinem Rasen des Gesetzes Marmorvasen, doch du kannst aus ihren Phrasen keine Zukunft dir erbaun. Tief in Herz und Sinn in treuer Hoffnung senk die Liedersaat, sind dir deine Dichter teuer, da daraus ein Lenz, ein neuer, keime.Was dann blieb vom Feuer, das entflamme dich zur Tat. NACHTBILD Auch auf der Theaterrampe wird es stille nach und nach. Eine eitle Bogenlampe schaut sich in ein Droschkendach. Auf dem leeren Gangsteig zucken Lichter.Sehn nicht dort am Haus helle Dachmansardenlucken wie verweinte Augen aus? HINTER SMICHOV Hin gehn durch heies Abendrot aus den Fabriken Mnner, Dirnen, auf ihre niedern, dumpfen Stirnen schrieb sich mit Schwei und Ru die Not. Die Mienen sind verstumpft; es brach das Auge. Schwer durchschlrft die Sohle den Weg, und Staub zieht und Gejohle wie das Verhngnis ihnen nach. IM SOMMER Im Sommer trgt ein kleiner Dampfer auf Moldauwogen uns nach Zlichov zu jenem Kirchlein, hoch und frei. Im blauen Nebel schwin ......Buy Now (To Read More)

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Ebook Number: 33821
Author: Rilke, Rainer Maria
Release Date: Sep 30, 2010
Format: eBook
Language: German

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